Hilfswerke können einfach begünstigt werden
Die drei Beispiele zeigen: Eltern und Kinder haben im neuen Erbrecht tiefere Pflichtteile, und die frei verfügbare Quote steigt. Dank höherer freier Quote können in Zukunft auch gemeinnützige Hilfswerke stärker berücksichtigt werden.
Fabian Füllemann, Rechtsanwalt aus Winterthur, sagt dazu: «Meiner Meinung nach sollten Erbschaftshinterlassende Hilfswerke im Testament besser nicht als Erben einsetzen, sondern ihnen ein Legat vermachen. Erben haften nämlich auch für die Schulden der Erbschaftshinterlassenden.» Durch ein Legat werden Begünstigte nicht Teil der Erbgemeinschaft. Sie erhalten einen bestimmten Gegenstand, einen festen Betrag oder einen Prozentanteil des Erbes.
Kein Pflichtteil bei Scheidungsverfahren
Eine weitere neue Regelung gilt bei Ehepaaren in Scheidung: Bisher hatte die Ehepartnerin bzw. der Ehepartner Anspruch auf den Pflichtteil, bis die Scheidung rechtskräftig ist. Seit dem 1. Januar 2023 gilt: Wenn eine Ehepartnerin oder ein Ehepartner während eines laufenden Scheidungsverfahrens stirbt, wird der Pflichtteilschutz aufgehoben. Neu kann mit einem Testament die Ehepartnerin oder der Ehepartner bei einem rechtshängigen Scheidungsverfahren vollständig enterbt werden.
Schenkungen sind anfechtbar
Das Recht wird auch bei Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrags angepasst. Bisher galt nach Abschluss eines Erbvertrages Schenkungsfreiheit. Das heisst: Schenkungen, die an Dritte gemacht werden, nachdem ein Erbvertrag abgeschlossen worden ist, sind grundsätzlich zulässig. Neu gilt im Gesetz das Schenkungsverbot: Alle Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrages sind grundsätzlich anfechtbar – eine Ausnahme sind Gelegenheitsgeschenke. Wenn Schenkungen aber trotzdem zulässig sein sollen, muss es die Person, die die Erbschaft hinterlässt, im Erbvertrag explizit erwähnen.
Müssen Testament und Erbvertrag angepasst werden?
Die Erbrechtsrevision ist eine gute Gelegenheit, um Erbverträge und Testamente zu überprüfen. Der Rechtsanwalt Fabian Füllemann sagt: «Wenn bereits ein Testament oder ein Erbvertrag errichtet wurde, sollte man überprüfen, ob sich diese weiterhin wie geplant umsetzen lassen. Generell ist es ratsam, diese Gesetzesrevision als Anlass zu nutzen, sich frühzeitig mit dem eigenen Nachlass auseinanderzusetzen.»
Sarah Wagner, Nachlassexpertin beim VZ Vermögenszentrum in Zürich, sagt dazu: «Grundsätzlich werden sich wohl vermehrt im Hinblick auf die revidierten Bestimmungen Auslegungsfragen ergeben. Als Beispiel: Wollte der Erblasser, dass seinem Kind effektiv 3/8 des Nachlasses zukommen?»
Um solche Anfechtungen zu vermeiden, sollte man beim Verfassen von erbrechtlichen Regelungen genau auf Formulierungen achten. Sarah Wagner empfiehlt: «Erbschaftshinterlassende sollten bestehende erbrechtliche Regelungen, in welchen fixe Quoten zugewiesen werden, überprüfen.» Aufpassen sollte man zudem bei Ausdrücken wie: «Meine Ehefrau erhält die frei verfügbare Quote und mein Sohn den Pflichtteil.» Klarer wäre eine Formulierung wie: «Meine Ehefrau möchte ich so weit wie möglich begünstigen und meinen Sohn mit dem Pflichtteil, der zum Zeitpunkt meines Todes gilt.»
Tipps zum Testament
Formvorschriften und Testamentsarten: Es gibt drei verschiedene Arten, ein gültiges Testament zu verfassen: Das eigenhändige Testament muss von der erbschaftshinterlassenden Person selber von Anfang bis Schluss von Hand geschrieben sein und braucht die Angabe von Jahr, Monat, Tag der Erstellung und die eigenhändige Unterschrift.
Die sicherste Art ist die öffentliche Beurkundung: Die Erblasserin bzw. der Erblasser begibt sich zu einer Urkundsperson und teilt dort unter Mitwirkung von zwei Zeugen ihren bzw. seinen Willen mit. Dieser wird auf einer Urkunde festgehalten, datiert und mit einer Unterschrift der Beteiligten bestätigt. Die dritte Art ist lediglich eine Notlösung, dabei wird der letzte Wille vor zwei Zeugen mündlich mitgeteilt.
Inhalt: Inhaltlich sind Erbschaftshinterlassende durch die Pflichtteile eingeschränkt. Die Pflichtteile können nur in zwei Fällen unterschritten werden: durch eine Enterbung aus besonderen und schwerwiegenden Gründen oder durch Abschluss eines Erbvertrags mit der pflichtteilberechtigten Person, die ihre Zustimmung zur Unterschreitung gibt. Wünsche können ebenfalls im Testament aufgenommen werden. Diese sind jedoch ausschliesslich Wünsche und rechtlich nicht durchsetzbar.
Testament regelmässig prüfen: Das Testament sollte alle drei bis fünf Jahre überprüft werden. Beziehungen und Meinungen verändern sich mit der Zeit. Es sollte immer dem aktuellen Willen entsprechen.
Korrekturen im Testament: Jede Korrektur in einem Testament sollte mit Datum und Unterschrift versehen werden. Vorsicht: Bei grösseren Korrekturen lohnt es sich, das Testament neu zu schreiben. Somit werden falsche Interpretationen vermieden. Wenn der Erblasser oder die Erblasserin das Testament neu schreibt, muss festgehalten werden, dass frühere Testamente aufgehoben werden.
Widerruf: Erbschaftshinterlassende können das Testament jederzeit widerrufen. Das kann auf drei Arten geschehen: Sie können formal erklären, dass das Testament nicht mehr gelten soll. Dabei müssen die Formvorschriften eingehalten werden. Eine weitere Möglichkeit ist, ein neues Testament zu verfassen. Dabei verliert das alte Testament an Gültigkeit. Die letzte Variante ist, das Testament zu vernichten. Dafür kann man es zerreissen, durchstreichen, ausradieren, verbrennen oder wegwerfen.