Nachhaltige Schweizer Investment-Apps auf dem Prüfstand
Patrik Schär (links) ist CEO und Gründer des Unternehmens Selma Finance, das nachhaltige Anlagestrategien mit ETF anbietet. Tillmann Lang (rechts), CEO und Co-Gründer der Yova AG, schwört für mehr nachhaltigen Impact auf Einzelaktien.
Felix Ertle, Bernhard Bircher-Suits
17.02.2022, 05.30 Uhr
Die Schweizer Robo-Advisors Selma und Inyova stellen nachhaltige Aktienportfolios automatisch zusammen, zugeschnitten auf die Wünsche der Investoren. Wie schlagen sich die Lösungen im Nachhaltigkeits-Check?
Zwischen der Zürcher Stadionbrache und der nahen Limmat befindet sich der Firmensitz von Selma Finance. Rund drei Kilometer entfernt am Limmatplatz liegt der Sitz von Yova. Beide Firmen bieten Privatanlegern gemäss eigenen Angaben «nachhaltige» Anlagestrategien an.
Die zwei Unternehmen setzen mit den Lösungen Selma und Inyova auf vollautomatische Finanzberatungen, sogenannte Robo-Advisors. Auf Basis der Nachhaltigkeitsbedürfnisse der Anleger wie Umwelt oder erneuerbare Energien erstellen die Algorithmen der Finanzdienstleister vermeintlich passende Anlagestrategien. Doch während Selma ausschliesslich Investitionen in Exchange-Traded Funds (ETF) – börsengehandelte Anlagefonds – anbietet, befinden sich in den Portfolios von Inyova ausschliesslich Einzelaktien.
Gefragte nachhaltige Investments
Nachhaltige Investments gewinnen in der Schweiz rasant an Popularität. Gemäss einer Marktstudie der von Swiss Sustainable Finance sind sie von 2019 auf 2020 um rund einen Drittel gestiegen. Insgesamt flossen 2020 über 1520 Milliarden Franken in der Schweiz in solche Anlagen. Das ist über 37 Mal mehr als zehn Jahre zuvor. Inzwischen bieten nahezu alle Finanzdienstleister in der Schweiz nachhaltige Anlagen in Form von ETF und Aktienfonds an. Dabei sorgen sie allerdings für Verwirrung.
«Die vorhandenen Anlagemöglichkeiten sind für Anlegerinnen und Anleger nicht einfach zu durchschauen. Zudem werden Begriffe wie ESG oder Nachhaltigkeit von verschiedenen Anbietern unterschiedlich interpretiert», sagt Manuel Rütsche, Leiter Asset-Management beim Finanzdienstleister VZ Vermögenszentrum.
Nachhaltige Anlagen werden oft anhand dreier Werte gemessen: Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Geschäftsführung (Governance) – die sogenannten ESG-Kriterien. Selma Finance kauft ihre nachhaltigen Anlageoptionen direkt von Rating-Agenturen wie dem US-Indexhaus MSCI. Das Problem dabei ist, dass es unter Rating-Agenturen Unterschiede in den Unternehmensbewertungen gibt.
Unterschiede bei den Ansätzen
Der weit verbreitete MSCI-ESG-Index bewertet weltweit 8500 Unternehmen. Dazu vergleicht er den Umgang mit brancheninternen Risiken und wählt einen «Best-in-Class-Ansatz». Der Dow-Jones-Sustainability-Index verfolgt einen ähnlichen Gedanken. Darin finden sich jedoch nur die 500 vorbildlichsten Firmen aus den 2500 grössten börsengehandelten Firmen. Der Pferdefuss dabei ist, dass damit auch Aktien aus den wenig nachhaltigen Branchen Auto, Luftfahrt und Erdöl in den Index Eingang finden.
Laut Patrick Schär, Geschäftsleiter bei Selma Finance, nutzt sein Unternehmen überwiegend die Indizes aus der Gruppe MSCI Socially Responsible Investing (SRI). Laut dem US-Indexhaus MSCI bilden SRI-Ratings die besten 25 Prozent der Unternehmen in jedem Sektor auf Basis ihrer ESG-Ratings ab. Unter dem SRI-Standard werden solche Unternehmen und Branchen ausgeschlossen, die als einer «sozial und/ oder ökologisch nachhaltigen Entwicklung entgegenstehend eingestuft werden – wie zum Beispiel Atomkraft, Kinderarbeit oder Rüstung».
Die ausschliesslich auf nachhaltige Investments fokussierte Finanz-App Inyova besitzt gemäss dem Geschäftsleiter Tillmann Lang eigene Messmethoden. «Wir überprüfen, welche Produkte und Dienstleistungen Unternehmen anbieten und ob sie einen positiven Effekt haben», sagt Lang. «Zudem betrachten wir, wie sie CO2-Emissionen, Chancengleichheit, gerechte Löhne und Menschenrechte in ihrer Arbeit berücksichtigen.»
Zudem müssten Unternehmen für Inyova in allen Nachhaltigkeitsdimensionen unbedenklich sein und mindestens in einer Dimension herausragen, um es ins Portfolio zu schaffen. Reine Waffenhersteller würden direkt ausgeschlossen. Die Anleger könnten in der App eigene Ausschlusskriterien definieren, wie zum Beispiel «Fleischindustrie» oder «Atomkraft».
Prüfung auf eigene Faust nötig
Gemäss dem Selma-Vertreter Schär bieten ETF mehr finanzielle Sicherheit als Aktien: «Mit ETF ermöglichen wir unseren Kunden eine kostengünstige Risikostreuung. So ermöglichen wir nachhaltige Investitionen und vermeiden gleichzeitig Klumpen- und Verlustrisiken.»
Dagegen sagt der Yova-Geschäftsleiter Tillmann Lang: «Auf Basis der Bedürfnisse unserer Anlegerinnen und Anleger erstellt der Inyova-Algorithmus ein Portfolio mit 37 bis 40 einzelnen Aktien, gewählt aus 350 Unternehmen.» Diese Liste könne individuell angepasst werden. Gefalle einem Anleger beispielsweise Tesla nicht, könne er dieses Unternehmen aus seinem Portfolio streichen. Als Inhaber von Unternehmensanteilen könnten Anleger zudem die nachhaltige Entwicklung der einzelnen Unternehmen mitlenken. Das gehe mit börsengehandelten Anlagefonds nicht.
Aktien bieten Vorteile bei speziellen Themen wie Recycling
Gemäss Rütsche hängt die Anlagewahl von den eigenen Bedürfnissen ab. Durch die freie Titelselektion könnten die Fondsmanager bei Aktienfonds in das Portfolio eingreifen. Auf diese Art könnten sie ihre Sichtweise zum Thema Nachhaltigkeit abbilden. Aktienfonds hätten zudem zu speziellen Themen wie Recycling einen Vorteil gegenüber ETF, da diese Themen von ETF seltener abgebildet würden.
ESG-Indizes verbänden oft mehrere Nachhaltigkeits-Massnahmen, sagt Rütsche. Dadurch stellten sie teilweise deutlich nachhaltigere Portfolios zusammen als ETF auf klassische Indizes oder aktiv verwaltete Fonds. Durch unterschiedliche Konstruktionsweisen könnten die Indizes jedoch stark voneinander abweichen.
Selma ist günstiger als Inyova
Der Anbieter-Vergleich zeigt: Die Mindestinvestionssumme ist bei beiden gleich tief (vgl. Tabelle) – bei den Gebühren bezahlt man umso weniger, je mehr man investiert. Die Lösung von Inyova ist mit Webbrowser sowie iOS- und Android-App einsetzbar. Selma ist bis jetzt nur als Web-Lösung und iOS-App verfügbar. Eine Android-App ist in Planung.
Gemäss Manuel Rütsche vom VZ schneiden Exchange-Traded Funds bei der Rendite meistens besser ab: «Ein ETF ist sehr kostengünstig und hat das Ziel, möglichst genau die Entwicklung des jeweiligen Vergleichsindexes nachzubilden.» Bei den im Normalfall deutlich teureren aktiven Fonds gehe es darum, den Index zu schlagen. Die Praxis zeige aber, dass dieses Ziel oftmals deutlich verfehlt werde.
Tillmann Lang gibt sich dennoch zuversichtlich: «Entscheiden sich unsere Anlegerinnen und Anleger gegen bestimmte Aktien, passt der Algorithmus die Gewichtung des gesamten Portfolios neu an, damit das Risikoprofil passt. Die Beimischung von grünen Anleihen sorgt für eine weitere Diversifizierung.» Durch die vollautomatische Anpassung sei diese Anlagelösung viel günstiger als von Menschen verwaltete Aktienfonds. Zudem werde bei einem Inyova-Portfolio eine langfristige Rendite von 6 bis 7 Prozent vor Gebühren pro Jahr erwartet – was sich entlang der Märkte bewege.
Nachhaltigkeit ist nicht mit Impact gleichzusetzen
Die Wissenschafter Stefan Zeisberger und Julian Kölbel von der Universität Zürich forschen eingehend zu nachhaltigen Investitionen. «Die nachhaltigste Anlagestrategie hängt von der zugrunde liegenden Motivation der Anleger ab. Wenn man nachhaltige Werte im Portfolio reflektieren möchte, dann sind klare Ausschlusskriterien oder Best-in-Class das Beste», teilen sie auf Anfrage mit.
Wenn man Nachhaltigkeitsrisiken eingrenzen wolle, sei die Berücksichtigung von ESG-Ratings der richtige Ansatz. Wer mit seinen Investitionen etwas bewirken wolle, sollte Mitbestimmungsrechte als Aktieneigentümer oder Investitionen in alternative Anlagen erwägen. Wichtig sei, die eigenen Ziele klar zu benennen und einen Ansatz zu finden, der mit ihnen in Einklang stehe.
Gut zu wissen: Es gibt noch weitere prüfenswerte Schweizer Anbieter von nachhaltigen Anlagen. Beim Robo-Advisor True Wealth beträgt das Startkapital aber beispielsweise 8500 Franken. Bei Descartes Finance beginnen Investitionen erst ab 25 000 Franken – und das zu deutlich günstigeren Grundgebühren von 0,5 bis 0,25 Prozent für die Finanzlösung True Wealth und 0,3 Prozent für Descartes Finance (Zusatzkosten exklusive). In Bezug auf Nachhaltigkeit muss man aber auch hier – wie bei allen angeblich nachhaltigen Lösungen – genau hinschauen.
Tipps für nachhaltige Anlagen
Eigenes Nachhaltigkeitsprofil erstellen: Möchten Sie nachhaltige Werte im Portfolio reflektieren oder mitbestimmen? Sind bestimmte Branchen ein No-Go? Ihr Nachhaltigkeitsprofil hilft Ihnen mit der Suche nach den richtigen Investitionen.
Mehrere Finanzanbieter vergleichen: Es gibt eine Vielzahl von Robo-Advisors, mit denen man in der Schweiz nachhaltig investieren kann. Diese Anbieter unterscheiden sich teilweise deutlich in Mindestinvestitionsmenge, Gebühren und angebotenen Anlagen. Eine aktuelle Liste der digitalen Schweizer Vermögensverwalter finden Sie unter: https://www.moneyland.ch/de/robo-advisor-schweiz-vergleich.
Fonds miteinander vergleichen: Vergleichen Sie nachhaltige Fonds auf Plattformen wie zum Beispiel https://www.meinfairmoegen.de/infomaterial vom unabhängigen, nichtkommerziellen Projekt MeinFairMögen der Investing Initiative Deutschland oder auf www.morningstar.ch vom amerikanischen Finanzinformations- und Analyseunternehmen Morningstar.
Auf Kosten achten: Achten Sie auf die Kosten der Anlagelösungen. Interessant sind generell Anlagelösungen, die deutlich unter 1 Prozent pro Jahr kosten. Wenn die Kosten über 1 Prozent liegen, sollten die Nachhaltigkeitsbestrebungen des Finanzanbieters besonders hoch sein.
Bei Finanzanbietern nachfragen: Fragen Sie bei potenziellen Anbietern direkt nach, wie genau Nachhaltigkeit die Investitionsentscheidungen beeinflusst und ob es Beispiele dafür gibt.
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