Den teuersten Fehler machte ein Lotto-Gewinner
Olivier Weber ist Präsident der Prüfungskommission der eidgenössisch diplomierten Steuerexperten. Er zeigt auf, wie Steuerpflichtige Fehler vermeiden und ihre Steuern legal optimieren – und was die Schweiz von Estland lernen kann.
Autor: Bernhard Bircher-Suits, Publikation in der NZZ am 09.01.2023
Herr Weber, ist das Schweizer Steuersystem so kompliziert, dass die Steuerpflichtigen einen Steuerexperten brauchen?
Das Steuersystem ist schon sehr kompliziert. Die Steuerbehörden geben sich aber Mühe, den Steuerpflichtigen digitale und analoge Hilfen zur Verfügung zu stellen. Steuerpflichtige erledigen in der Regel das Ausfüllen und Einreichen der Steuererklärung ohne Steuerexperten. Mehr wird von Steuerpflichtigen auch nicht verlangt. Das ist auch gut so.
Woran scheitern die angehenden Steuerexperten selbst bei den Prüfungen?
An den zunehmend komplexen Sachverhalten, die steuerlich zu beurteilen sind, und an der Komplexität des Steuersystems. Meist fehlt es den Kandidatinnen und Kandidaten am vernetzten Denken, um die richtigen Antworten zu finden. Die Prüfung wird zudem berufsbegleitend abgelegt. Das ist für viele Prüflinge eine zusätzliche Herausforderung.
Wie wählt man eine geeignete Person für seine Steuergeschäfte aus?
Es lohnt sich, eine regional verankerte Steuerberatungsperson zu berücksichtigen. Am besten wählt man eine diplomierte Steuerexpertin oder einen diplomierten Steuerexperten. Bei diesen ist die Qualität gewährleistet.
Mit welchen Stundenansätzen muss ein privater Steuerpflichtiger rechnen?
Die Stundensätze für die Erstellung einer Steuererklärung liegen zwischen 180 und 360 Franken.
Jede zehnte Person in der Schweiz hat Steuerschulden. Wie kann eine Privatperson verhindern, dass sie Steuerschulden anhäuft?
Leider kennt die Schweiz keine Lohnquellensteuer für alle Steuerpflichtigen. Darum ist der Lohn häufig schon ausgegeben, bevor die Steuerrechnung eintrifft. Um Steuerschulden zu vermeiden, sollte ein Teil des Lohnes auf die Seite gelegt werden. Aber die nötige Ausgabendisziplin haben längst nicht alle.
In welchen Steuerbereichen passieren am häufigsten Fehler?
Steuerpflichtige Privatpersonen können unter Umständen vergessen, gewisse Einkommen zu deklarieren. Viele Leserinnen und Leser dürften jetzt entsetzt sein, weil man Einkommen doch nicht vergessen kann. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass es Steuerpflichtige gibt, die ihre administrativen Aufgaben nur mit grosser Mühe bewältigen können. Geht ein Einkommen vergessen, eröffnet die Steuerbehörde ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Selbst bei unbeabsichtigten Fehlern gilt Nulltoleranz. Im Unternehmenssteuerrecht kommen Fehler dann vor, wenn unternehmerische Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Steuerkonsequenzen getroffen werden. Es kann sehr schwierig sein, Steuerkonsequenzen in Unternehmen abzuschätzen.
Was sind aus Ihrer Erfahrung als Steuerexperte die klassischen Fehler beim Ausfüllen der privaten Steuererklärung?
Mit den heutigen Steuererklärungsformularen gehen die zulässigen Abzüge kaum mehr vergessen. Der klassische Fehler liegt eher darin, Einkommen nicht vollständig zu deklarieren. Häufig sehen wir, dass Ersatzeinkommen wie zum Beispiel Mutterschaftsentschädigungen oder Taggelder nicht deklariert werden. Dann kommt es zu einem teuren Nach- und Strafsteuerverfahren. Bei den Abzügen werden häufig Weiterbildungs- und Krankheitskosten nicht sauber aufgelistet und belegt. Ein weiterer grober Fehler ist, dass Steuerpflichtige gar keine Steuererklärung einreichen. In solchen Fällen sind die Steuerämter gezwungen, die Steuern nach pflichtgemässem Ermessen einzuschätzen.
Was war der teuerste Fehler eines Steuerpflichtigen?
Den teuersten Fehler, den ich während meiner Tätigkeit erlebt habe, machte ein Lotto-Gewinner. Er hatte mehrere hunderttausend Franken gewonnen. Danach ging er ohne Steuererklärung und ohne Abmeldung beim Einwohneramt auf Weltreise. Nach seiner Rückkehr war er mit einem Straf- und Nachsteuerverfahren konfrontiert. Er schuldete dem Steueramt Nachsteuern in der Höhe eines Drittels des Lottogewinnes und Strafsteuern in derselben Höhe. Da er die 35-prozentige Verrechnungssteuer nicht zurückfordern konnte, verblieb ihm nichts vom Lottogewinn. Zudem hatte er einen beträchtlichen Betrag des Lottogewinnes bereits ausgegeben.
Welche Fehler sind Ihnen in Ihrer eigenen Steuererklärung schon passiert?
Ich habe vergessen, den Doppelverdiener-Abzug geltend zu machen. Das Steueramt hat ihn dann von sich aus gewährt und in der Veranlagung eine Änderung zu meinen Gunsten vorgenommen.
In welchen Steuerbereichen wird aus Ihrer Erfahrung im Steuerrecht am häufigsten vor Gericht gestritten?
In Gerichtsfällen geht es am häufigsten um Unternehmenssteuerrecht. Bei privaten Steuerpflichtigen sind Streitigkeiten dann häufig, wenn der Steuerpflichtige von Anfang an etwas klar falsch gemacht hat, wie zum Beispiel keine Steuererklärung eingereicht hat. Private Steuerpflichtige können häufig ihre Fehler nicht akzeptieren und ziehen zumeist erfolglos vor Gericht.
Der Normalbürger erhält gelegentlich den Eindruck, dass die Topverdiener in der Schweiz Steuerschlupflöcher ausnützen und Normalbürger die «ehrlichen Dummen» sind. Was halten Sie von dieser Einschätzung?
Dieser Eindruck täuscht. Die Steuerprogression ist erheblich. Ein gutverdienender Normalbürger mit einem steuerbaren Einkommen von 100 000 Franken bezahlt in der Stadt Zürich 16 623 Franken Steuern – rund 17 Prozent seines Lohns. Ein Topverdiener mit einem steuerbaren Einkommen von 1 Million Franken zahlt hingegen 377 540 Franken Steuern – das sind rund 38 Prozent des Einkommens. Kaum bekannt ist, dass die früheren Steuerschlupflöcher für Topverdiener in den letzten zwanzig Jahren geschlossen wurden. Will ein Topverdiener weniger Steuern zahlen, dann bleibt ihm nur die Verlegung seines Wohnsitzes in einen Kanton oder eine Gemeinde mit tiefen Steuern.
Welche Länder in Europa sind aus Ihrer Sicht vorbildlich beim Steuersystem und warum?
Gemäss Jahresbericht 2021 der Europäischen Kommission über die Steuerpolitik ist der Zeitaufwand für das Erstellen der Steuererklärung in Estland am geringsten. Estland hat sehr früh auf die Digitalisierung des Staates gesetzt und erntet nun die Früchte dieser Politik. In einer Rangliste der Europäischen Kommission liegt Estland bei der Digitalisierung des Staatswesens an der Spitze. Die Schweiz ist auf Rang 28 von 35, vor Griechenland, Zypern, Serbien, Albanien, Rumänien, Montenegro und Nordmazedonien.
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da im Bereich Steuerhinterziehung?
Die Schweiz hat mit der straflosen Selbstanzeige wohl das klügste System der Welt. Einmal im Leben hat jeder das Recht auf eine straflose Selbstanzeige. Wenn jemand Schwarzgeld hat, kann er dieses einmalig offenlegen. Er bezahlt die Nachsteuer, das heisst die Steuer, die er ohnehin geschuldet hätte, aber keine Strafe. Seit der Einführung der straflosen Selbstanzeige im Jahr 2010 wurden unzählige Selbstanzeigen eingereicht, so dass die Schweiz im internationalen Vergleich sehr gut dasteht. Die Tatsache, dass es in der Schweiz sehr viel weniger Schwarzgeld gibt als früher, zeigt sich an den seit Jahren sinkenden Fallzahlen von straflosen Selbstanzeigen.
Welche legalen Steuersenkungsmethoden sollte jeder Steuerpflichtige nutzen?
Einzahlungen in die Säule 3a und die Pensionskasse sind für alle Steuerpflichtigen interessante Steuersparmöglichkeiten. Zudem sollten Steuerpflichtige die Progression vermeiden, indem sie versuchen, regelmässige Einkommen zu erzielen statt einmalige hohe Einkommen. Gleiches gilt für die Abzüge, welche ebenfalls besser regelmässig anfallen sollten. Sinnvoll sind auch Investitionen in Wertschriften, von denen ein steuerfreier Kapitalgewinn zu erwarten ist.
Wo sehen Sie bei den Steuerbehörden noch Optimierungspotenzial?
Die Steuerbehörden sollten noch stärker in die Digitalisierung und in die Ausbildung ihrer Mitarbeitenden investieren. Da unser Steuersystem komplex ist, brauchen die Steuerpflichtigen digitale Hilfen, und die Berater der Steuerpflichtigen brauchen kompetente Ansprechpartner aufseiten der Steuerbehörden.
Welche nationalen Steuer-Baustellen müssten Ihrer Meinung nach vom nationalen Parlament rasch angegangen werden?
Das Parlament sollte sich auf die OECD-Mindestbesteuerung und deren Umsetzung in der Schweiz konzentrieren. Wenn die Schweiz hier nichts tut oder das Projekt nicht rechtzeitig in Kraft tritt, dann graben andere Staaten der Schweiz Steuern ab. Sobald die OECD-Mindestbesteuerung politisch durch ist, wäre es an der Zeit, die Individualbesteuerung einzuführen.
Und zum Schluss noch zwei private Fragen: In welche Schweizer Steuerhölle möchten Sie nie umziehen?
Nach Bure im Kanton Jura.
Was wäre für Sie ein attraktives Steuerparadies?
In der Schweiz kommt für mich zum Leben nur die Stadt Zürich infrage. Sie ist wahrlich kein Steuerparadies. Hätte ich viel Vermögen, würde ich wohl London als Wohnsitz wählen. Dort profitieren vermögende Privatpersonen von einer sehr tiefen Besteuerung.
Lesen Sie den Originalartikel vom 09.01.2023 online auf nzz.ch.
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