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Hypothekarschulden: Abzahlen anstatt verlängern kann sich lohnen

Schweizer Immobilienbesitzer haben im internationalen Vergleich hohe Hypothekarschulden, die sie oftmals nicht begleichen. Ist mit den steigenden Kreditzinsen die Zeit gekommen, die Hypothekarschulden nach Möglichkeit zu reduzieren?

Autor: Bernhard Bircher-Suits
20.11.2022, 07:39 Uhr

Es tönt paradox: Schweizer Privathaushalte haben in Westeuropa sowohl die höchsten Netto-Finanzvermögen als auch die höchsten Schulden. Gemäss der Schweizerischen Nationalbank (SNB) bestehen die finanziellen Verpflichtungen der privaten Haushalte im Wesentlichen aus Hypotheken und Konsumkrediten.

Ende 2020 beliefen sich die finanziellen Verpflichtungen der Haushalte auf insgesamt 934 Milliarden Franken. Ende 2000 lag der Schuldenberg der Schweizer Haushalte noch bei 480 Milliarden Franken. Von den gesamten Kreditverpflichtungen entfielen Ende 2020 95 Prozent auf Hypotheken (Vorjahr: 91 Prozent).

Das Ende der ultratiefen Zinsen

Hypothekar-Schuldner wurden in den letzten zehn Jahren mit tiefen Zinsen «verwöhnt». Im Idealfall haben die Kreditnehmenden in der nun endenden Tiefzinsphase für die Hochzinsphase Reserven gebildet oder das Ersparte für den Abbau ihrer Hypothek eingesetzt. Denn höhere Zinsen schmerzen – je nach individueller Restlaufzeit einer bestehenden Hypothek – früher oder später alle Kreditnehmenden.

Die Hypothekarzinsen sind stark gestiegen. Der Zinsindex der Plattform Hypotheke.ch stand Ende Oktober bei 2,71 Prozent. Vor einem Jahr hatte er noch 1,12 Prozent betragen. Dies zeigt eine deutliche Erhöhung der Finanzierungskosten. Steigt der Index um 0,01 Prozentpunkte, so bedeutet dies, dass sich die Zinskosten einer Hypothek über 800 000 Franken pro Jahr um 80 Franken verteuern. Im vergangenen Jahr hat sich eine solche Hypothek also um 12 720 Franken im Preis erhöht.

Wie sich die Hypothekarzinsen weiterentwickeln, hängt stark von der Geldpolitik der Nationalbanken ab. Bekommen die Zentralbanken die Inflation nicht unter Kontrolle, dürften weitere Leitzinserhöhungen anstehen und damit auch die Hypozinsen weiter steigen. Eine globale Wirtschaftsflaute könnte sie aber auch wieder nach unten drücken oder zumindest ihren Auftrieb dämpfen.

Hypozinsen sind steuerlich absetzbar

Die Zinshöhe spielt bei der Überlegung, ob eine Hypothekarschuld amortisiert beziehungsweise zurückbezahlt werden soll oder nicht, eine wesentliche Rolle. Ein Rechenbeispiel: Zahlt ein Kreditnehmer bei einem Zinssatz von 2,2 Prozent 100 000 Franken der Hypothek an die Bank zurück, spart er pro Jahr 2200 Franken an Zinskosten. Bei einem Zinssatz von 1,2 Prozent sind es lediglich 1200 Franken. Je höher der Zinssatz ist, desto mehr lohnt es sich somit, die Hypothek zu tilgen.

Gut zu wissen: Die Abzahlung einer Hypothek im zweiten Rang ist Pflicht. Im Gegensatz zur zweiten Hypothek ist die Rückzahlung einer ersten Hypothek hingegen freiwillig. Eine Rückzahlung kann bei einer Festhypothek nur nach Laufzeitende ohne teure Strafgebühr – die sogenannte «Vorfälligkeitsentschädigung» – vorgenommen werden.

Dennoch gibt es je nach Ausgangslage gute Gründe, die Hypothek zu amortisieren, sofern ein Kreditnehmer über freies Kapital verfügt. Andere Faktoren sprechen dagegen – wie zum Beispiel die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekarzinsen. Sie ist für viele Kreditnehmende mit ein Grund, Kredite stehen zu lassen.

Renditechancen wegen Amortisierung verpassen

Nutzt ein Wohneigentümer liquide Mittel zur Amortisation der Hypothek, steht dieses Geld nicht für andere, allenfalls gewinnträchtigere Investitionen zur Verfügung. Das ist ebenfalls zu beachten.

Wie viel Rendite jemand mit Wertschriften verpasst, hängt von der persönlichen Risikobereitschaft ab. Eine Annahme: Jemand investiert in risikobehaftete Aktien und erzielt eine jährliche Rendite von drei Prozent. Dann ist diese Rendite in der Regel höher als die Zinsersparnis bei einer Amortisation. In diesem Fall fährt ein Kreditnehmer mit einer Amortisierung schlechter.

Investiert jemand hingegen in sicherere Staatsanleihen oder parkiert sein Geld auf dem Sparkonto, ist die Rendite deutlich weniger hoch. Dann profitiert man stärker von der Zinsersparnis infolge der Amortisation als von der Rendite aus den Investitionen.

Inflation verkleinert die Hypothekarschuld laufend

Der Entscheid zu «Rückzahlung oder nicht?» hängt auch davon ab, wie hoch der offerierte Zins für eine neue Hypothek ist. Ist die Inflation – im Oktober dieses Jahres lag sie bei 3 Prozent – höher als der offerierte Zinssatz, verkleinern sich die Schulden laufend. Solche Kreditnehmer könnten also mit einer Amortisation zuwarten. Hypotheken ohne fixe Laufzeit werden in Zeiten steigender Inflation in der Regel teurer. Dann kann es sich lohnen, das Darlehen zu amortisieren.

Wer vor allem auf Sicherheit setzt und genügend freie Mittel oder grosse Vorsorgeguthaben hat, wählt die Amortisation – ganz nach dem Motto: Lieber schuldenfrei im Alter und unabhängig von Kreditgebern. Im Einzelfall kann eine (vollständige) Amortisation der Hypothek aber Nachteile bringen: Vor allem dann, wenn nach der Abzahlung nicht mehr genügend Liquidität vorhanden ist. Es gilt daher, die Hypothek nur so weit zu reduzieren, dass mindestens ein paar zehntausend Franken als Barreserve für Unvorhergesehenes verfügbar bleiben. Der Grund: Banken verwehren Pensionierten mit tiefen Renteneinkommen eine Wiederaufstockung der Hypothek.

Jeder Fall ist anders gelagert

Eine generelle Empfehlung für oder gegen die freiwillige Amortisation gibt es folglich nicht. Es gilt die individuellen Faktoren zu betrachten und die eigene Finanzsituation zu prüfen. Hypothekarnehmerinnen und -nehmern stellen sich folgende Fragen:

  • Wie sieht meine finanzielle Situation aus?

  • Spare ich mehr, wenn ich weniger Zinsen zahlen muss, oder ist der Steuervorteil dank den Abzugsmöglichkeiten grösser?

  • Kann ich eine höhere Rendite mit dem Geld erzielen, als ich an Zinsen spare?

  • Brauche ich viel Liquidität, oder kann ich es mir leisten, die Hypothek zu amortisieren?

Drei Experten geben Empfehlungen

Die NZZ hat in Zusammenarbeit mit dem Hypothekarspezialisten Florian Schubiger von Hypotheke.ch drei reale, anonymisierte Hypo-Schuldnerprofile zusammengestellt. Experten von Hypotheke.ch, UBS und Raiffeisen Zürich geben für alle drei Lebenssituationen Empfehlungen ab. Die Leitfrage lautete: abzahlen oder nicht?

Ehepaar Charlene & Daniel Müller

Das Ehepaar Müller wohnt in einem Reiheneinfamilienhaus in Zürich. Sie weisen eine niedrige Risikobereitschaft bei Geldanlagen aus. Sie haben deshalb ihr Vermögen auf einem Konto bei einer Kantonalbank. Sie haben keine Wertschriften. Ihre Hypothek wird per 31. 10. 2022 fällig. Sie haben von ihrer Hausbank eine Offerte von 2,7 Prozent Zins für eine zehnjährige Festhypothek erhalten, welche sie annehmen möchten.

Empfehlung von Florian Schubiger (Hypotheke.ch):
Hypothek amortisieren

Herr und Frau Müller sollten sich überlegen, die Hypothek zu reduzieren. Einerseits erhalten sie auf dem Konto kaum Zinsen, müssen für die Hypothek aber mehr als 20 000 Franken Zinsen pro Jahr bezahlen. Wenn sie die Hypothek amortisieren, verringern sie die Zinslast und haben auf der anderen Seite kaum Mindererträge, weil die Zinsen auf dem Konto so tief sind. Auch nach einer Amortisation besteht keine Gefahr, dass sie in einen Liquiditätsengpass geraten, da sie ja über eine gewisse Sparquote verfügen.

Mit einer Amortisation haben sie einen weiteren Vorteil: Sie können besser über den Hypothekarzinssatz verhandeln, weil die Hypothek tiefer ist und die Belehnung dann unter 65 Prozent fällt (Stichwort Bonität / Rating der Kreditnehmer). Die Belehnung und die Tragbarkeit sind die zwei wichtigsten Einflussfaktoren beim Zinssatz. Wer die Hypothek amortisiert, verbessert gleichzeitig beide Faktoren und kann mit einem deutlich besseren Zinssatz rechnen. Gut zu wissen: Bei einer so tiefen Belehnung offerieren auch Pensionskassen, Anlagestiftungen und Versicherungen sehr gute Zinsen bei Hypotheken. Es kann sich lohnen, weitere Offerten für die Erneuerung der Hypothek einzuholen.

Empfehlung von Andrea Steinmann Mascaro (Raiffeisenbank Zürich):
Abzahlung der zweiten Hypothek

Die Abzahlung der zweiten Hypothek erscheint in diesem Fall als sinnvoll. Allenfalls könnte auch mehr amortisiert werden, bis zu einem Betrag von etwa 250 000 Franken, da die Gelder nur auf dem Konto liegen und keine Anlagen getätigt werden. Die tiefen Zinserträge auf dem Konto und die Inflation sprechen dafür, ebenso wie die weiteren Kennzahlen des Ehepaares.

Zu berücksichtigen gilt es den Zinsabzug zum Eigenmietwert. Dieser fällt bei höheren Zinsen wieder stärker ins Gewicht und muss bei dem Entscheid ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden. Die Eheleute sind zwar erst knapp 50, dennoch könnte auch das Einkaufspotenzial für die Pensionskasse überprüft werden. Es bestünde wohl die Möglichkeit, dort einzuschiessen, was wir als sinnvoller erachten, als zu viel zu amortisieren.

Empfehlung von der UBS:
Teilrückzahlung der Hypothek/Amortisation

Aufgrund dessen, dass die Kunden ihr gesamtes Sparguthaben auf einem Konto haben und eine niedrige Risikobereitschaft aufweisen, sind die Zinskosten der Hypothek höher als die Erträge, welche auf dem Kontoguthaben erzielt werden. Auch wenn man die Steuerersparnis, welche Herr und Frau Müller durch den Abzug des Hypothekarzinses erzielen, mit einberechnet, sind die Kosten für die Hypothek noch immer höher als die Nettoerträge auf dem Konto.

Single Julia Studer

Frau Studer lebt alleine in ihrer Eigentumswohnung. Sie legt ihr Geld seit vielen Jahren selber in Aktien an. Sie spart damit in erster Linie für die Pensionierung. Seit dem Kauf der Eigentumswohnung vor über zehn Jahren hat Frau Studer eine Libor-Hypothek, die 2021 in eine Saron-Hypothek umgewandelt wurde. Sie ist damit gut gefahren und kann steigende Zinsen gut verkraften. Sobald der Saron nicht mehr negativ ist, steigt auch der Zinssatz für die Hypothek von Frau Studer im Gleichschritt mit dem Saron-Zins an. Ein Wechsel in eine Festhypothek kommt nach dem Zinsanstieg für Frau Studer nicht mehr infrage.

Single Julia Studer - NZZ Hypothekarschulden

Empfehlung von Florian Schubiger:
keine Amortisation

Eine Amortisation der Hypothek ergibt bei Frau Studer keinen Sinn. Die Hypothek ist im Vergleich zum Immobilienwert bereits tief. Dies hat auch damit zu tun, dass die Immobilienpreise in den letzten 20 Jahren so massiv angestiegen sind. Diese Situation teilt Frau Studer mit anderen Immobilienbesitzern: Viele wissen gar nicht, dass sie durch die Preissteigerungen in den letzten Jahren heute eine tiefe Belehnung haben.

Zudem hat Frau Studer auf den Aktienanlagen einen langen Anlagehorizont und damit gute Renditechancen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rendite auf den Geldanlagen höher ist als der Zinssatz bei der Hypothek, ist relativ hoch. Steigen die Zinsen sehr stark an, kann die Situation neu beurteilt werden. Durch Kontoguthaben und die Sparquote besteht die Möglichkeit, auch später zu amortisieren. Bei Saron-Hypotheken kann entweder nach einer kurzen Anzeigefrist oder beim Auslaufen des Rahmenvertrags amortisiert werden. Die meisten Rahmenverträge laufen drei Jahre.

Empfehlung von Andrea Steinmann Mascaro:
keine Amortisation

In diesem Fall besteht eine tiefe Belehnung. Aus diesem Grund ergibt es wenig Sinn, die Hypothek zurückzuzahlen. Einen Liquiditätspuffer von rund 100 000 Franken für Notfälle erachten wir als sinnvoll. Anlagen werfen im langjährigen Durchschnitt eine bessere Rendite ab als die Ersparnisse, die durch die tiefere Zinsbelastung bei einer Amortisation entstehen. Bei einem allfälligen weiteren Zinsanstieg sind Mittel für eine Amortisation vorhanden, so dass dies zu einem späteren Zeitpunkt nochmals überprüft werden kann.

Empfehlung von der UBS:
Weiterführung Saron-Hypothek / keine Amortisation

Geht man von historisch durchschnittlichen Aktienrenditen aus, sollten diese höher ausfallen als die zu zahlenden Hypothekarzinsen. Die Belehnung der Liegenschaft ist mit rund 42 Prozent sehr tief. Solange sich das Einkommen von Frau Studer nicht verändert, läuft Frau Studer keine Gefahr, ihre Hypothek (teil)amortisieren zu müssen. Sollten die Hypothekarzinsen jedoch stark ansteigen, ist es ratsam, die Situation neu beurteilen zu lassen.

Rentner-Ehepaar Pino & Stefanie Moreno

Das Rentnerpaar Moreno lebt in einer Doppelhaushälfte. Sie möchten so lange wie möglich auch im Alter im Haus bleiben und fühlen sich sehr wohl. Sie sind aber überrascht, wie stark die Zinsen gestiegen sind, und wollen die Zinskosten reduzieren. Sie haben im Dezember 2017 eine fünfjährige Festhypothek zu einem Zinssatz von 1,1 Prozent abgeschlossen. Sie überlegen sich deshalb, ob sie die Hypothek reduzieren sollten, um Zinskosten zu sparen.

Rentner-Ehepaar Pino und Stefanie Moreno - NZZ Hypothekarschulden

Empfehlung von Florian Schubiger:
keine Amortisation

Auch wenn es verlockend ist, die Hypothek im Alter so stark wie möglich zu amortisieren, sollten es die Morenos nicht tun. Die Belehnung ist schon jetzt sehr tief, und der Grossteil ihres Vermögens ist in der Immobilie gebunden. Würden sie noch mehr amortisieren, bestünde die Gefahr, dass sie irgendwann einen Liquiditätsengpass hätten. Morenos haben schon jetzt ein Gesamtvermögen von deutlich mehr als 1 Million Franken. Nur einen kleinen Teil davon können sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwenden. Die Kontoguthaben von 150 000 Franken sollten sie als Sicherheit nicht auch noch in der Immobilie binden, sondern als Sicherheitsreserve behalten.

Empfehlung von Andrea Steinmann Mascaro:
eher keine Amortisation

Grundsätzlich ist eine Amortisation in diesem Fall nicht notwendig, da die Belehnung sehr tief ist. Eine gewisse Liquiditätsreserve ist sinnvoll, auch um höhere Zinsen in Zukunft durch allfällige spätere Amortisationen abzufedern. Unbedingt in die Betrachtung mit einzubeziehen sind allfällige grössere Investitionen – zum Beispiel in die Heizung oder die Fassadensanierung –, da häufig eine spätere Wiederauszahlung der Hypothek schwierig wird. Dies ist auch relevant unter dem Aspekt, dass einer der Ehepartner verstirbt und danach das Einkommen tiefer ausfällt.

Empfehlung von der UBS:
Hypothek verlängern

Obwohl Herr und Frau Moreno konservative Anleger sind und die Hypothekarkosten höher sind als die Erträge auf der Kontolösung, raten wir in diesem Fall dazu, die Hypothek zu verlängern. Morenos haben lediglich 150 000 Franken liquide Mittel zur Verfügung. Wir wissen nicht, ob ihre Renteneinkommen sämtliche Lebenshaltungskosten decken und ausserdem Spielraum lassen, um auf unvorhergesehene Ausgaben wie grössere Reparaturen oder hohe Arztrechnungen reagieren zu können. Unseres Erachtens bringt Familie Moreno die Flexibilität der Sparkontolösung mehr als die Reduktion der Kosten der Hypothek.

Lesen Sie den Originalartikel vom 20.11.2022 auf nzz.ch oder laden Sie sich die NZZ-Online-Version als PDF herunter.

 

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