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Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten (AIA) soll grenzüberschreitende Steuerhinterziehung verhindern. Seit 2017 setzen Schweizer Finanzinstitute den AIA um. Wie er in der Praxis angewendet wird – und was das für Steuerzahler bedeutet.

Bernhard Bircher-Suits
17.06.2021, 05.30 Uhr

Wer Geld auf einem Konto anlegen will, muss vorab viele Fragen für den AIA beantworten – auf Vorrat.

Der automatische Informationsaustausch (AIA) sieht vor, dass Banken, Anlagefonds und Versicherungen Finanzinformationen ihrer Kundinnen und Kunden sammeln, sofern diese im Ausland steuerlich ansässig sind. Die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung des AIA sind in der Schweiz Anfang 2017 in Kraft getreten. Finanzinstitute müssen somit auch AIA-Daten erheben, die allenfalls an ausländische Steuerbehörden übermittelt werden.

Gemäss der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) tauscht die Schweiz seit 2018 jährlich Informationen zu Millionen von Konten und Wertschriftendepots mit AIA-Partnerstaaten aus. Dabei geht es laut EStV um Identifizierungs-, Konto- und Finanzinformationen – darunter Name, Anschrift, Ansässigkeitsstaat und Steueridentifikationsnummer sowie Angaben zum meldenden Finanzinstitut, zum Kontosaldo und zum Kapitaleinkommen.

Daten von Millionen von Konten und Depots

Diese Angaben nutzt letztlich auch der Schweizer Fiskus. Dank den ausgetauschten Informationen können die kantonalen Steuerbehörden beispielsweise überprüfen, ob die Steuerpflichtigen ihre Finanzkonten im Ausland in der Steuererklärung korrekt deklariert haben.

Die erwähnten Informationen müssen von den Finanzinstituten an die EStV übermittelt werden. Die Bundesbehörde leitet die Daten dann an die für die Kundin oder den Kunden zuständige Steuerbehörde im Ausland weiter – vorausgesetzt, die Schweiz hat ein AIA-Abkommen mit dem entsprechenden Land. Diese Transparenz soll vermeiden, dass Steuersubstrat im Ausland vor dem Fiskus versteckt werden kann.

Die kleine Steueramnestie hat gezeigt, dass auch hierzulande Steuern hinterzogen werden. Seit 2010 können alle Steuerpflichtigen einmal im Leben eine straflose Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung tätigen. Seit Einführung dieser Selbstanzeige vor elf Jahren sind gemäss Bundesrat rund 71,4 Mrd. Fr. an bisher unversteuerten Vermögen aufgedeckt worden.

Laut mehreren angefragten Steuerexperten hat die Einführung des AIA-Standards Anfang 2017 mit dazu geführt, dass die Fallzahlen bei den Selbstanzeigen von Steuersündern deutlich gestiegen sind. Roger Keller, Kommunikationsbeauftragter bei der Finanzdirektion des Kantons Zürich, schreibt, das Steuervolumen habe sich dank AIA erhöht. Im Hinblick auf die AIA-Einführung seien in den Jahren 2017 und 2018 rund 10 000 Selbstanzeigen mehr eingereicht worden. Gemäss Keller resultierte daraus ein zusätzlicher Steuerertrag von rund 50 Mio. Fr.

Im Kanton Schwyz seien 2019 155 Fälle von nicht deklarierten Konti aufgedeckt worden, sagt der Sprecher der Steuerverwaltung des Kantons, Markus Beeler. Doch wie funktioniert der AIA-Standard aus Sicht eines Bankkunden konkret?

Banken stellen Dutzende Fragen auf Vorrat

Auch wer nur einen einzigen Steuersitz in der Schweiz hat, kommt nicht darum herum, im Rahmen einer Kontoeröffnung Angaben für den AIA-Standard zu machen. Das zeigt das Beispiel der Schweizer Online-Bank Swissquote. Neukunden stolpern im Rahmen der Kundenregistrierung zum Beispiel über Hinweise unter Titeln wie: «Steuerwohnsitz» und «Selbstzertifizierung für den automatischen Informationsaustausch». Auf der Website steht: «Am 21. Juli 2014 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Standard für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuerangelegenheiten veröffentlicht. Der Kunde nimmt zur Kenntnis, dass die Bank möglicherweise strengere Verfahren zur Wahrung der Sorgfaltspflichten anwenden muss, um den Wohnsitz des Kunden für steuerliche Zwecke zu erfassen.»

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Bank steht zudem: «Der Kunde bestätigt, dass er im Einklang mit den steuerbehördlichen Vorschriften des Landes / der Länder steht, in denen er steuerlich haftet. Die Bank wird die Steuerehrlichkeit des Kunden nicht überprüfen und übernimmt in diesem Zusammenhang keinerlei Haftung. Der Kunde ist sich bewusst, dass er für die steuerlichen Auswirkungen seiner Geschäfte mit der Bank verantwortlich ist. Bei Bedarf wird sich der Kunde von Steuerexperten beraten lassen.»

Weiter ist der Website zu entnehmen, dass Swissquote «möglicherweise der zuständigen Schweizer Behörde, namentlich der Eidgenössischen Steuerverwaltung», Finanzinformationen melde. Der Neukunde muss zur Kenntnis nehmen, dass die EStV seine Daten an ausländische Steuerbehörden weiterleiten kann, sofern er dort für steuerliche Zwecke ansässig ist. Gemäss EStV-Angaben gilt bei diesem Anmeldeprozedere: «Ein meldendes schweizerisches Finanzinstitut darf sich grundsätzlich auf eine Selbstauskunft des Kontoinhabers verlassen, es sei denn, es weiss oder hat Grund zur Annahme, dass diese unzutreffend oder unglaubwürdig ist.»

AHV-Nummer als «Steuer-ID»

Der Neukunde muss bei Swissquote seinen Wohnsitz und auch seine «Steuer-ID» angeben. Die Steueridentifikationsnummer dient in der Schweiz dazu, Personen innerhalb des AIA-Systems eindeutig zu identifizieren. Sie wird dauerhaft einer Person eindeutig zugeordnet, so dass eine Nummer genau eine Person sicher identifiziert. Bei der Steuer-ID handelt es sich um die AHV-Versichertennummer, die in der Schweiz zugleich die Sozialversicherungsnummer ist. Das heisst: Wenn jemand ein Konto als Privatperson besitzt, welches sich in einem AIA-Partnerstaat der Schweiz befindet, kann dieser solche Daten mit der Schweiz tauschen, um steuerpflichtige Personen zu erfassen.

Für den AIA-Vollzug in der Schweiz ist zwar die EStV zuständig. Verantwortlich für die Koordination und die strategische Führung in internationalen Finanz- und Steuerfragen ist aber das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF). «Die Bilanz nach den ersten Jahren ist positiv. Der AIA zwischen den Steuerbehörden funktioniert ohne grössere Schwierigkeiten», schreibt der SIF-Sprecher Mario Tuor. Die kantonalen Steuerämter verfügten nun über zusätzliche Angaben zu Wertschriften, die von Schweizer Steuerpflichtigen auf Konten im Ausland gehalten werden.

Längst nicht alle Staaten machen beim AIA mit

Die Liste der Länder, mit denen die Schweiz den AIA über Finanzkonten vereinbart hat, umfasst zurzeit 108 Länder. Zum Vergleich: Weltweit gäbe es theoretisch 195 mögliche Vertragspartner-Staaten. Die USA kochen derweil ihr eigenes Süppchen mit dem sogenannten Fatca-Standard. Laut Tuor tauscht die Schweiz mit 32 Ländern im Rahmen der AIA-Abkommen «entweder gar keine Informationen aus, oder die Schweiz erhält nur Daten, sendet aber keine». So erhalten zum Beispiel die Bahamas keine Daten von der Schweiz. Das Land schickt aber Daten an die EStV. Die Bahamas standen auf einer von der EU im Dezember 2017 veröffentlichten schwarzen Liste mit Staaten, welche die Steuerflucht nicht aktiv genug bekämpfen. Im Mai 2018 strich die EU den Inselstaat wieder von der Liste. Auf dieser stehen seit Februar dieses Jahres noch insgesamt 12 Staaten und Gebiete wie beispielsweise Amerikanisch-Samoa, Fidschi oder Panama.

Laut Tuor ist der Datenaustausch mit dem EU-Mitglied Rumänien «zurzeit sistiert, weil das Land gegenüber der OECD selber erklärt hat, noch nicht alle Bestimmungen bezüglich Sicherheit erfüllen zu können». Bulgarien hatte 2019 ein grösseres Leck in der Steuerverwaltung zu beklagen und wurde deshalb vonseiten der OECD vom Datenaustausch ausgeschlossen, bis die Datensicherheit verlässlich gewährleistet werden kann. Über gewisse technische Mängel bei den erhaltenen Daten informiert die Schweiz regelmässig die OECD, welche sie in Berichten über die Länder auflistet.

Bankenombudsmann sieht kaum Probleme

Wenig Probleme auf Kundenseite sieht der Schweizerische Bankenombudsmann Marco Franchetti. Beschwerdefälle, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema AIA erforderlich gemacht hätten, seien ihm bisher nicht vorgelegt worden, sagt er. Kunden hätten vereinzelt gefragt, ob sie ein Recht darauf hätten, von der Bank in Erfahrung zu bringen, welche Daten gestützt auf den AIA genau übermittelt werden. «Dies ist gestützt auf das AIA-Gesetz selber und gestützt auf das Datenschutzgesetz zu bejahen. In einigen wenigen Fällen haben Kunden geltend gemacht, Daten seien fälschlicherweise übermittelt worden, etwa weil sie das Steuerdomizil im entsprechenden Land schon länger aufgegeben hatten, oder es seien falsche Daten übermittelt worden», sagt Franchetti.

Das Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes (Global Forum) prüft regelmässig die innerstaatliche Umsetzung des AIA-Standards. Im Rahmen dieses Prüfverfahrens hat es auch gegenüber der Schweiz Empfehlungen ausgesprochen, welche das Land bis Ende 2020 umsetzte.

Aus aktuellem Anlass interessant: Mit Weissrussland hat die Schweiz beispielsweise kein AIA-Abkommen – mit Saudiarabien hingegen seit Anfang 2018 schon. Seit Anfang 2021 ist ein AIA-Abkommen auch mit der Türkei in Kraft. Die offensichtliche Gefahr bei der Zusammenarbeit mit diesen Ländern: Die Regierungen könnten die Kontoangaben für andere Zwecke nutzen, wie zum Beispiel für die Verfolgung von Oppositionellen im Ausland. Vor dem erstmaligen Datenaustausch mit einem Land erstellt der Bundesrat zuhanden des Parlaments einen Bericht, der über Datensicherheit und Einhaltung des sogenannten Spezialitätsprinzips informiert – das heisst, die Daten dürfen nur für Steuerzwecke verwendet werden.

Die USA kochen ihr eigenes Süppchen

«Der internationale Standard des AIA wurde durch die Schweiz umgesetzt und ist inzwischen Normalität – sowohl für die Banken als auch für die Bankkunden», schreibt Urs Kapalle, Leiter Steuerstrategie bei der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg). Die Schweiz habe alle internationalen Vorschriften umgesetzt. Da der AIA nun flächendeckend zur Normalität geworden sei, komme der Sicherstellung einer Wettbewerbsneutralität aber noch grössere Bedeutung zu. Die SBVg fordert denn auch ein möglichst flächendeckendes AIA-Abkommens-Netzwerk. Nur so sei sichergestellt, dass sich «alle relevanten Finanzplätze an dieselben Regeln zu halten haben».

In der Tat sind die USA eine gewichtige Ausnahme. Sie setzen den AIA nach wie vor nicht um und halten stattdessen am Fatca-System fest. Die Banken in der Schweiz müssen daher zwei Steuertransparenz-Regime parallel betreiben, was gemäss Bankiervereinigung zu hohen Kosten führt. Mit dem Finanzplatz USA steht zudem ein gewichtiger Wettbewerber ausserhalb des AIA-Systems und kämpft nicht mit gleich langen Spiessen.

 

Bernhard Bircher-Suits

Lesen Sie den Originalartikel vom 17.06.2021 auf nzz.ch

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