Die Schweizer Genossenschaftsbank WIR will mit der gleichnamigen WIR-Währung kleinere und mittlere Unternehmen finanziell stärken. Ob das System diesen Anspruch immer noch erfüllt, ist umstritten.
Bernhard Bircher-Suits, Felix Ertle
13.10.2021, 05.30 Uhr
Der Grundgedanke des WIR-Systems lautet: Die teilnehmenden Firmen geschäften miteinander im geschlossenen System und steigern gemeinsam ihren Umsatz. Dabei müssen sie mit der WIR-Währung bezahlen.
Die Komplementärwährung entstand im Zuge der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Durch die damals herrschende Deflation stieg in der Schweiz das Zinsniveau auf Sparguthaben an. Gleichzeitig wurden Kredite teurer. Menschen horteten ihr Geld. Investitionen lagen brach. Mit der Gründung der WIR-Wirtschaftsring-Genossenschaft im Jahr 1934 wollten ihre 16 Gründer die Produktion in der Schweiz wieder ankurbeln.
Die WIR-Guthaben wurden zunächst nicht verzinst, dafür wurden WIR-Kredite zu «konkurrenzlos günstigen Konditionen» gewährt. Damit kam mehr Geld in den Umlauf, und die Investitionsmenge stieg an. Die WIR-Teilnehmenden konnten mit der «zweiten Schweizer Währung» untereinander vermehrt Geschäfte tätigen.
Heute entfällt der Zinsvorteil von WIR
In den Anfangszeiten der WIR-Genossenschaft mussten die Kunden auf ihren Kontoguthaben eine sogenannte Rückhaltegebühr bezahlen. Das Ziel dieser bis zum Jahr 1948 bestehenden Massnahme war, dass das WIR-Geld schnell wieder ausgegeben wird. Heute nennt man dies Negativzins oder etwas beschönigend Guthabengebühr. Sie wird den Schweizer Bankkunden auf Guthaben ab einem bankspezifischen Schwellenwert in Rechnung gestellt.
Christoph Basten ist Professor für Banking an der Universität Zürich. Er sagt: «Mit der Einführung der Negativzinsen ist der Zinsunterschied zwischen der Bank WIR und anderen Schweizer Banken geschrumpft. Die Gemeinschaftsbank stimuliert, anders als in früheren Zeiten, die Wirtschaftsaktivität heute nicht mehr als Banken mit Franken-Konten.»
Das WIR-System sei besonders attraktiv für Unternehmen, die gerne viel investieren wollten, in der Regel auf Kredit, sagt Basten. Für Sparer lohne es sich dagegen weniger.
Rückläufige Zahl an Firmenkunden
Die WIR-Währung ist für den Schweizer Binnenmarkt gedacht. Je mehr Teilnehmende es gibt, desto besser funktioniert der Kreislauf. Der WIR-Chef Bruno Stiegeler bezeichnet die Zahl der WIR-Kunden jedoch als «rückläufig».
Momentan habe die Bank WIR rund 28 000 Firmenkunden. Davon machten über 26 000 Kunden im WIR-Netzwerk mit. Zusätzlich konsumierten knapp 7500 Privatkunden mit WIR – das seien beispielsweise Firmeninhaberinnen und -inhaber oder Aussendienstmitarbeitende.
Eine Teilschuld an den vielen Abgängen trägt der erzwungene Verzicht der WIR-Kunden auf das Bankkundengeheimnis. Im Jahr 2016 sollten sich alle WIR-Teilnehmenden öffentlich zu erkennen geben. Infolgedessen ist ein Drittel aller Firmen aus dem WIR-System ausgetreten.
Die Umstellung auf Transparenz habe sich für viele KMU aber auch gelohnt, meint Stiegeler. «Durch die Offenlegung der WIR-Teilnehmenden konnten die KMU ein starkes Netzwerk aufspannen. Es entstanden viele intakte Geschäftsbeziehungen.» Den Unternehmen rät Stiegeler, WIR-Ausgaben zu planen, bevor sie WIR einnähmen. Das sei die «goldene Regel im Umgang mit WIR».
Auf der Online-Plattform www.wirmarket.wir.ch findet man alle WIR-Geschäftsteilnehmenden. Von Coiffeursalons über Hotels bis hin zu Bau- und Architekturbüros listet die Plattform alle Unternehmungen mit WIR-Annahmebeträgen auf. Diese rangieren zwischen 3 und 100%. Kunden einer Zürcher Stripbar können beispielsweise zu 100% mit WIR zahlen.
Nicht alle KMU sind zufrieden mit dem WIR-System
Adrian Föhn, Geschäftsinhaber der Föhn Platten AG, ist überzeugt vom WIR-System. Sein Onkel sei mit der Firma in den 1980er Jahren ins WIR-System eingestiegen, wegen der tiefen Hypothekarzinsen und der breiten Verwendung von WIR im Baubereich.
Föhns Erwartungen wurden erfüllt: «Das System hat uns über all die Jahre hinweg definitiv mehr genutzt als geschadet. Wir können unser Geld überall, wo es nötig ist, ausgeben, im Bau- und Immobilienbereich, beim Autokauf, für Entsorgungen, bei Restaurantbesuchen und Werkzeugeinkäufen.» Durch seine Tätigkeiten im Immobilienbereich habe er viele Aufträge mit einem WIR-Anteil vergeben. Sein WIR-Kontostand sei deshalb chronisch im Minus.
Ein ähnliches Bild zeichnet Roland Jenny, Inhaber der Bossart Modehaus GmbH in Flawil. Mit seinem Einstieg in das WIR-System 2018 wollte er sich im Netzwerk engagieren und natürlich einen Mehrumsatz generieren. «Meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt.»
Laut Jenny ist es mit etwas Planung nicht schwierig, WIR auszugeben. Für ihn habe durch das transparente WIR-Netzwerk die Anzahl der passiven WIR-Teilnehmenden abgenommen. Zwar sei das Zinsumfeld schweizweit gesunken. Die positiven Merkmale von WIR überträfen dennoch die negativen. Deshalb bleibe er im WIR-System.
Diesen Enthusiasmus teilen jedoch nicht alle WIR-Teilnehmenden. Der Inhaber einer Schweizer Autowerkstatt möchte anonym bleiben. Eingestiegen sei er, weil es bei einigen Garagen Voraussetzung für die Zusammenarbeit gewesen sei. Seine Erwartungen, so an mehr Aufträge zu kommen, seien zwar erfüllt worden. Das Geld wieder auszugeben, sei jedoch schwierig. Er wolle in Zukunft den WIR-Umlauf auf ein Minimum reduzieren.
Insbesondere kritisiert er die hohen WIR-Preise: «Nehmen Sie irgendein Produkt, das Sie mit WIR kaufen können: Im Minimum bezahlen Sie einen Drittel mehr.» Dabei verweist er auf einen PC-Monitor, der auf einem WIR-Marktplatz 450 WIR koste, während das baugleiche Modell bei Digitec gerade einmal mit 269 Fr. zu Buche schlage. Weitere Stichproben bestätigen dieses Bild.
Stiegeler verteidigt Wertgleichheit zwischen WIR und Franken
Der WIR-Chef Stiegeler warnt aber vor vorschnellen Schlüssen: «Die Online-Giganten von Migros und Coop können aufgrund ihrer umgesetzten Menge mit ganz anderen Margen kalkulieren. Die Bank WIR strebt jedoch die Stärkung der Schweizer KMU an. Dieses Bestreben wird von vielen Schweizerinnen und Schweizern geteilt. Kein KMU-Betrieb wird mit einem Galaxus-Preis mithalten können, egal ob in Franken oder WIR.»
Gemäss Stiegeler werden die meisten Dienstleistungen und Waren im WIR-Netzwerk im Verhältnis eins zu eins zu den normalen Frankenpreisen angeboten. Natürlich seien der Bank WIR unfaire Preisstellungen ein Dorn im Auge. Bei entsprechenden Hinweisen nehme man Kontakt zu den Anbietern auf und suche gemeinsam nach Lösungen. Im grössten Teil des WIR-Geschäftes – insbesondere in der Baubranche und bei Investitionen – würden die WIR-Beträge fair gehandhabt. Da WIR-Teilnehmende über zwei Konten verfügten, eins in Franken und eins in WIR, liege die Kaufentscheidung natürlich immer bei ihnen.
Gefahr, auf dem WIR sitzen zu bleiben
Investitionsfreudige KMU mit regen Geschäftsbeziehungen auf dem Schweizer Binnenmarkt könnten von den zinslosen WIR-Krediten und guten Netzwerkeffekten der Genossenschaftsbank profitieren. Das Ausgeben in der WIR-Währung will jedoch gut geplant sein. Der Austritt fällt schwer, sollte ein KMU die WIR nicht wieder in Umlauf bringen können.
Wer nämlich WIR umtauschen möchte, stösst auf ein Problem. Der Kauf und Verkauf der Komplementärwährung wird von der Bank WIR verboten und mit hohen Geldbussen in Franken bestraft. Für den Umtausch des WIR in Franken habe sich infolgedessen zwar ein «Graumarkt» etabliert. Verkäufer von WIR müssten aber mit Abschlägen von bis zu 35% rechnen.
Das WIR-System im Überblick
Vorteile:
- Das WIR-Netzwerk erleichtert die Geschäftsbeziehung zwischen WIR-Teilnehmenden.
- Schweizer KMU werden gegenüber globalen Unternehmen gestärkt.
- WIR können für eine breite Produktpalette aus dem Freizeit- und dem professionellen Bereich verwendet werden.
- WIR-Kunden erhalten einen zinslosen Sofortkredit in Höhe von 10 000 WIR.
- Bei der Mehrwerthypothek in Höhe von bis zu 1 Mio. WIR werden WIR-Kunden über einen Zeitraum von 5 Jahren 1,5% Hypozins in WIR ausgezahlt.
Nachteile:
- Das WIR-System eignet sich nicht zum Sparen.
- WIR-Teilnehmende müssen sich öffentlich zu erkennen geben.
- WIR-Preise sind um einiges höher als bei Online-Giganten mit Sonderangeboten.
- Die Ausgabe von WIR erfordert mehr Planung als bei Franken.
- Der Umtausch von WIR in Franken wird von der Genossenschaftsbank verboten. Für Umtauschaktivitäten auf dem Graumarkt fallen saftige Abschläge an.
- Auf jede WIR-Gutschrift entfallen 2% Netzwerkgebühr in Franken.
Lesen Sie den Originalartikel vom 13.10.2021 auf nzz.ch oder laden Sie die NZZ-Online-Version mit umfassender Tabelle als PDF.
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