Steuervorbescheide können sich auch für Private lohnen

Bei komplizierten Geschäften wie Unternehmensverkäufen oder Immobiliengeschäften kann aufgrund der teils unklaren Steuerlage ein Steuervorbescheid, auch für Privatpersonen, sinnvoll sein.

Autor: Bernhard Bircher-Suits, Publikation in der NZZ am 19.04.2023

Hans Meister (Name geändert) hat kürzlich Post vom Steueramt erhalten. Die Behörde verlangte von ihm die Einreichung eines «vollständigen Leibrentenvertrags». Das stellt Meister vor ein Problem: Denn ein schriftlicher Leibrentenvertrag mit seinen Eltern existiert nicht.

Hans Meister hat mit seinen Eltern eine mündliche Abmachung getroffen in Zusammenhang mit der Überschreibung der elterlichen Liegenschaft. Er verpflichtete sich mündlich dazu, seinen Eltern lebenslang eine monatliche Ausgleichszahlung beziehungsweise eine Rente zu überweisen. Diese Zahlungen deklarierte er im Folgejahr in seiner Steuererklärung als eine vermeintlich zu 40 Prozent abzugsfähige Leibrente. Doch Meister machte die Rechnung ohne das Steueramt. Es verweigerte vorerst den Abzug und verlangte als Basis für den Leibrentenabzug den «vollständigen Leibrentenvertrag».

Steueramt teilt nicht jede persönliche Einschätzung

Die Steuerverwaltungen stützen sich im Veranlagungsverfahren in der Regel auf die Steuererklärungen, Belege und weitere Untersuchungen ab. Gemäss Olivier Weber, Präsident der Prüfungskommission der eidgenössisch diplomierten Steuerexperten, hat Hans Meister mit einem mündlichen Leibrentenvertrag an sich nicht alles falsch gemacht. Ein mündlicher Vertrag könne auch gültig sein, sollte aber zu Beweiszwecken schriftlich abgeschlossen werden, sagt er.

Ein Leibrentenvertrag müsste gemäss Gesetz für seine Gültigkeit schriftlich vereinbart werden. Bei komplexeren Rechtsgeschäften mit möglichen Steuerfolgen kann es für Privatpersonen sinnvoll sein, eine Steuerexpertin oder einen Rechtsanwalt beizuziehen. Bei unklaren Steuerfolgen sollte man sich zudem rechtzeitig vor einem geplanten Rechtsgeschäft schlaumachen und alles möglichst nachvollziehbar dokumentieren. Denn das Steueramt schätzt eine Handlung eines Steuerpflichtigen gelegentlich komplett anders ein als ein Steuerpflichtiger.

Verbindlichen Steuervorbescheid einholen kann Sinn ergeben

«Hans Meister hätte den Entwurf eines Leibrentenvertrags dem kantonalen Steueramt im Rahmen eines kostenlosen Ruling-Verfahrens zuvor schriftlich zur Prüfung einreichen können», sagt Weber. «So hätte er einen verbindlichen Steuervorbescheid erhalten und damit Rechtssicherheit gehabt.» Gemäss dem Steuerexperten und Rechtsanwalt Christoph Niederer sind Rulings in der Schweiz meist kostenlos. Die Antwortzeiten der Steuerämter betrügen in der Regel mehrere Wochen – je nach Komplexität der Anfrage, vorhandenen Pendenzen und allfälligen Ferienabwesenheiten könne es auch Monate dauern.

Weber fügt hinzu: «Wer ein Ruling-Verfahren am 1. Dezember einreicht, wird sich länger gedulden müssen. Ende Jahr erhalten die Steuerbehörden jeweils sehr viele Anfragen.» Dasselbe gilt gemäss Niederer für die Ferienmonate Juli und August. Im besten Fall kann Hans Meister den vollständigen Leibrentenvertrag nachträglich einreichen und so doch noch Abzüge geltend machen und seine Steuern optimieren. Im schlechten Fall verweigert das Steueramt die steuerliche Abzugsfähigkeit der bereits geleisteten Zahlungen.

Das reale Beispiel illustriert auch, dass nahezu jede wirtschaftliche Entscheidung einer Privatperson Steuerfolgen hat. Das Schweizer Steuerrecht verzichtet aber darauf, eine Regelung für jeden einzelnen Sachverhalt festzulegen. Es ist bewusst relativ offen formuliert und flexibel ausgestaltet. Doch Flexibilität schafft auch Rechtsunsicherheit. Hinzu kommt, dass sich die Fülle an Steuergesetzen, Verordnungen und Gerichtsentscheiden von Privaten und Unternehmen kaum mehr überblicken lässt. Die Steuerbehörden haben in der Beurteilung eines Sachverhalts häufig auch einen gewissen Ermessensspielraum. Doch was ist ein Ruling genau?

Schriftliche und verbindliche Zusicherung des Steueramts

Ein Steuerruling – auf Deutsch auch Steuervorbescheid genannt – liefert eine vorgängige, schriftliche und verbindliche Zusicherung des Steueramtes hinsichtlich der steuerlichen Behandlung eines konkreten, vom Steuerpflichtigen dargelegten Sachverhalts. Im späteren Veranlagungsverfahren kann sich der Steuerpflichtige, sofern er alles richtig gemacht hat, auf die Verbindlichkeit des Steuerrulings berufen.

«Der Steuerpflichtige muss den Sachverhalt aber unbedingt vollständig und richtig darstellen. Unrichtig ist ein Sachverhalt auch dann, wenn rechtlich bedeutsame Elemente unerwähnt bleiben», sagt Niederer. Die umfassende und auch verständliche Darlegung des rechtlich massgeblichen Sachverhalts ist gemäss ihm denn auch die zentrale Aufgabe einer Beratungsperson oder eines Rechtsbeistands. Hierzu gehört erfahrungsgemäss oftmals auch, dass der Berater seinem eigenen Mandanten Informationen entlocken muss, die dieser vielleicht als unwichtig erachtet oder die er lieber nicht erwähnen würde.

Das kantonale Zürcher Steueramt hält in einem Merkblatt fest, dass es eine Beurteilung von steuerrechtlich relevanten Fragestellungen auch vor Einreichung der Steuererklärung vornehmen kann, «sofern es sich dabei um Sachverhalte handelt, die tatsächlich zur Verwirklichung anstehen». Laut Niederer hat ein Steuerpflichtiger aber nicht grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf ein Ruling. «Gelingt es ihm nicht, den Sachverhalt verständlich darzulegen, oder ist dieser zu kompliziert oder zu unbestimmt, kann ihn das Steueramt auf das Veranlagungsverfahren verweisen und ist nicht verpflichtet, die steuerliche Qualifikation bereits im Rahmen eines Ruling-Verfahrens vorwegzunehmen.»

Steuerverwaltung ist keine Rechtsauskunftskanzlei

Mit einem Steuerruling kann auch keine verbindliche Rechtsauskunft zu einem Sachverhalt verlangt werden, ohne dass der Antragsteller selbst eine rechtliche Würdigung abgibt. Grund: Die Steuerverwaltung darf nicht als kostenlose Rechtsauskunft missbraucht werden. Steuerämter sollten auch keine Steuerberatung oder -planung zugunsten von Steuerpflichtigen machen.

Es ist in der Regel auch nicht möglich, im Rahmen einer Ruling-Anfrage mehrere Handlungsvarianten prüfen zu lassen. Es sind auch keine Einigungen ausserhalb des gesetzlichen Rahmens möglich. Rulings ergeben zudem nur bei komplexeren Geschäften Sinn. Einfache Anfragen können im Kanton Zürich zum Beispiel online gestellt werden unter www.steueramt.zh.ch.

Wann ist ein Steuerruling verbindlich?

Die Rechtsverbindlichkeit eines Steuerrulings ergibt sich aus dem in der Verfassung festgehaltenen Grundsatz von Treu und Glauben. Daraus leitet das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung «einen Vertrauensschutz in auch unrichtige Behördenauskünfte» ab. Voraussetzung für die Verbindlichkeit eines Steuerrulings ist, dass

  • sich die Auskunft der Steuerbehörde auf eine konkrete, den Rechtsuchenden berührende Angelegenheit bezieht;

  • die Steuerbehörde, welche die Auskunft gegeben hat, hierfür zuständig war oder der Rechtsuchende sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;

  • der Rechtsuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können;

  • er im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat;

  • die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung und der Schutz des Vertrauens in die unrichtige Auskunft höher zu gewichten ist als das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung.

Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, ist das Steuerruling selbst dann bindend, wenn die Antwort des Steueramtes falsch ist, mithin Steuerfolgen für einen Sachverhalt bestätigt werden, die der Praxis widersprechen. Bindend ist ein Steuervorbescheid für das Steueramt aber nur, sofern der geschilderte Sachverhalt anschliessend auch genau so umgesetzt wird, wie er vom Steuerpflichtigen im Ruling dargelegt wurde.

Die Steuerbehörden sind bei der Beurteilung von Ruling-Anfragen an dieselben Gesetze, Verordnungen und internen Weisungen gebunden wie bei einer regulären Steuerveranlagung. Wer illegale Steuerpraktiken im Rahmen eines Ruling-Antrags vorschlägt, fällt gemäss Olivier Weber negativ auf. Das Steueramt werde einen solchen Antrag ablehnen – und keinen «legalen Gegenvorschlag» machen. Steuertrickser sind somit gewarnt.

Checkliste zum Thema Steuervorbescheide (Ruling)

Einfache Auskünfte: Allgemeine Auskünfte zu Steuerfragen erteilen in erster Linie die Gemeindesteuerämter. Dafür eignen sich eher einfache Fragestellungen. Allgemeine Auskünfte sind rechtlich unverbindlich.

Identität und Vollmacht: In der Anfrage sind genaue Angaben über den Namen beziehungsweise die Firma und die Adresse der betroffenen Person zu machen, die um eine verbindliche Anfrage ersucht. Handelt eine Fachperson als Vertreter des Steuerpflichtigen, braucht es eine schriftliche Vollmacht.

Rechtsmittel: Ein Steuerruling-Entscheid kann vor Gericht nicht angefochten werden, ein nachträglich erhaltener, vermeintlich falscher Steuerbescheid hingegen schon.

Schriftlichkeit: Anträge sollten immer schriftlich an das zuständige Steueramt gestellt werden. Verbindliche Auskünfte vom Steueramt erfolgen schriftlich.

Steuerrechtliche Beurteilung:Die steuerpflichtige Person muss den Sachverhalt schildern und die eigene steuerrechtliche Beurteilung des Sachverhalts darlegen sowie den Antrag stellen, diese Beurteilung zu bestätigen. Es kann sinnvoll sein, die steuerrechtliche Beurteilung durch eine qualifizierte Fachperson (Steuerberater, Treuhänderin) vornehmen zu lassen.

Timing: Der Antrag sollte nach Möglichkeit mehrere Wochen oder Monate vor dem geplanten Rechtsgeschäft eingereicht werden, damit die Steuerbehörde genügend Zeit hat, den Antrag zu prüfen und eine verbindliche Auskunft zu erteilen.

Kosten: Ein Steuerruling ist in der Regel kostenlos. Allfällige Kosten entstehen für den allenfalls nötigen Rechtsbeistand und eine Beratung rund ums Steuerrecht.

Vollständigkeit: Damit die Steuerverwaltung einen Antrag prüfen und genehmigen kann, sind eine vollständige und systematische Darstellung des Sachverhalts und eine qualifizierte rechtliche Beurteilung entscheidend.

Verhaltenskodizes: Die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV), die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) und Expertsuisse haben gemeinsam mit dem Institut für Finanzwissenschaft, Finanzrecht und Law and Economics (IFF-HSG) einen Kodex für professionell im Steuerbereich tätige Personen erarbeitet. Der «Verhaltenskodex Steuern 2021» liefert weitere Empfehlungen (siehe: https://iff.unisg.ch/projects/verhaltenskodex/). Die Eidgenössische Steuerverwaltung liefert in ihrer «Mitteilung-011-DVS-2019-d» weitere Tipps rund um Steuervorbescheide.

Zuständigkeiten der Steuerbehörde: Da für die Veranlagung der Einkommens- und Vermögenssteuer der jeweilige Kanton zuständig ist, ist auch der betreffende Kanton für das Steuerruling-Verfahren zuständig. Das bedeutet, dass man sich an die Steuerbehörde des Kantons wenden muss, in dem man steuerpflichtig ist. Geht es zum Beispiel um eine Liegenschaft ausserhalb des Wohnkantons, kann es sinnvoll sein, den Ruling-Antrag auch dem ausserkantonalen Steueramt einzureichen. Dasselbe gilt für unterschiedliche Steuerarten: Während für Rulings betreffend die Einkommens- oder Vermögenssteuern grundsätzlich die kantonalen Steuerbehörden zuständig sind, ist ein Ruling mit Bezug auf die Verrechnungssteuer an die Eidgenössische Steuerverwaltung in Bern zu richten.

Lesen Sie den Originalartikel vom 19.04.2023 online auf nzz.ch.

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